Sanremo – Peter Sagan setzte mit letzter Kraft zum Tigersprung an, doch die Mühe war vergebens. Der seit Wochen überragende Weltmeister vom deutschen Team Bora-hansgrohe verpasste in einem packenden Finish um wenige Zentimeter seinen Premierensieg beim 108. Frühjahrsklassiker Mailand-Sanremo.
Stattdessen triumphierte der Pole Michal Kwiatkowski nach 291 Kilometern auf der Via Roma. Auch John Degenkolb musste seinen Traum vom zweiten Sieg nach 2015 ohne Erfolg beenden. Der 28-Jährige hatte am letzten Anstieg abreißen lassen und landete im Sprint des geschlagenen Feldes auf dem siebten Platz.
«Ich werde jetzt nicht in die Knie gehen oder mich unter der Bettdecke verstecken. Ich werte das als guten Auftakt für die Klassiker», sagte Degenkolb und fügte hinzu: «Ich hatte nicht die Beine, um bei der Attacke mitzugehen.»
Wenige Kilometer vor dem Ziel hatte Sagan am Poggio angegriffen, dem starken Slowaken vermochten nur Kwiatkowski und der am Ende drittplatzierte Franzose Julian Alaphilippe zu folgen. Sagan übernahm bis zum Ziel die komplette Führungsarbeit, wurde dann aber von Ex-Weltmeister Kwiatkowski noch übersprintet.
«Vielleicht hatte Sagan im Schlusssprint zu sehr auf seine Urkräfte vertraut. Es war aber ein super Rennen, wir sind nicht unzufrieden», resümierte Bora-Teamchef Ralph Denk. Damit setzte sich der Trend fort, dass der amtierende Weltmeister in Sanremo nicht gewinnen kann. Letztmals war dies Giuseppe Saronni 1983 im Regenbogentrikot geglückt.
Sky-Profi Kwiatkowski war überglücklich. «Ich wusste, Peter ist zu schlagen. Seine Attacke auf dem Poggio war imposant. Aber auf der Zielgerade konnte ich ein bisschen mit ihm spielen», sagte der Sieger. «Er hat den Sprint von vorne begonnen und ich konnte ihn noch passieren. Ich bin sehr glücklich, wie es gelaufen ist.»
Bei den Buchmachern war Sagan, mit schulterlangem Haar und dem Habitus eines Rockstars unterwegs, der absolute Favorit. Er erfüllte lange Zeit die Rolle mit Bravour und schien die Ruhe selbst. «Nervös? Warum sollte ich nervös sein. Überall, wo ich antrete, bin ich der Favorit – ich habe mich daran gewöhnt», ließ er beim Start im kühlen Mailand noch einmal wissen. Die italienische Sportzeitung «Gazzetta dello Sport» hatte Sagan in Anspielung auf Eddy Merckx schon vorher als «neuen Kannibalen des Radsports» gefeiert.
Gar soweit ist Sagan aber noch nicht. Auf den zweiten Sieg bei einem der fünf Radsport-Monumente muss er noch warten, im Vorjahr hatte er erstmals die Flandern-Rundfahrt gewonnen.
Degenkolb, der seinen Titel im Vorjahr wegen einer langwierigen Trainingsverletzung nicht verteidigen konnte, zählt auch wieder zum Kreis der Sieganwärter, auch wenn diesmal noch ein paar Prozent fehlten. In den nächsten drei Wochen folgen mit der Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix, wo Degenkolb 2015 ebenfalls siegte, aber weitere Chancen.
Die Dramaturgie zum Auftakt des Rennens war bekannt. Auch diesmal bildete sich schnell eine zehnköpfige Ausreißergruppe, die das Geschehen mehr als 240 Kilometer bestimmte. In der Gruppe fuhr auch der in französischen Diensten stehende Nico Denz aus Walshut. Aber die Ausreißer spielten im Finale keine Rolle mehr. Die Vorentscheidung fiel wie meistens auf dem nur 162 Meter hohen Poggia. Nach über 280 gefahrenen Kilometern hat aber sogar diese Erhebung ihren Schrecken. Vom Gipfel – inklusive einer anspruchsvollen Abfahrt – sind es noch 5,3 Kilometer ins Ziel.
Fotocredits: Dario Belingheri
(dpa)