Bologna – Noch vor sechs Jahren ist Primoz Roglic als Radsport-Fan nach Italien aufgebrochen, um seine Idole bei der Bergankunft des Giro d’Italia am Altopiano del Montasio anzufeuern.
Wenn der Slowene am 11. Mai beim Start in Bologna wieder bei der Italien-Rundfahrt aufkreuzt, geht er für viele Experten als großer Favorit auf den Gesamtsieg ins Rennen. Nach einer beeindruckenden Saison mit schon drei Rundfahrt-Erfolgen scheint der 29-Jährige für den Kampf gegen die namhaften Ex-Sieger Tom Dumoulin (Niederlande) oder Vincenzo Nibali (Italien) gerüstet zu sein.
«Ich bin bereit für den Giro», sagt der überaus ehrgeizige Roglic und hält den Sieg für «möglich». Schon im vergangenen Jahr hat der Teamkollege von Tony Martin beim niederländischen Rennstall Jumbo-Visma mit Gesamtrang vier bei der Tour de France sein Potenzial angedeutet. Seitdem hat er sich offensichtlich noch einmal weiterentwickelt, wie er erst in der Vorwoche mit drei Etappenerfolgen und dem überlegenen Gesamtsieg bei der anspruchsvollen Tour de Romandie bewies.
Es war die Fortsetzung einer fulminanten wie ungewöhnlichen Karriere, die erst 2016 im Profibereich begann. Denn Roglic ist ein Quereinsteiger. Bis 2011 war er noch als Skispringer unterwegs, im Juniorenbereich gewann er sogar WM-Gold im Mannschaftsspringen. Doch irgendwann packte ihn die Leidenschaft für den Radsport. Roglic lieh sich ein Rennrad aus und fuhr bei einem Rennen in Slowenien aufs Podium. Von da an war der Traum von einer zweiten Karriere geboren. Dass sein schwerer Sturz beim Skispringen für den Sinneswandel sorgte, verneint Roglic: «Mann muss die Stürze im Skispringen akzeptieren wie im Radsport.»
Drei Jahre lang fuhr der Mann aus Trbovlje für das drittklassige Team Adria Mobil, dann erhielt er vom Jumbo-Team die Chance. «Ich bekam einen Anruf von seinem slowenischen Trainer. Ein Skispringer aus Slowenien, das war merkwürdig. Ich war skeptisch, aber dann hat er einen Test bei uns gemacht und es war verrückt. Er hatte außergewöhnliche Wattwerte», sagte Sportdirektor Frans Maassen der französischen Sportzeitung «L’Equipe».
Von da an ging die Karriere des Leichtgewichts (65 Kilogramm) erst richtig los: 2016 der Zeitfahrsieg beim Giro in Chianti, 2017 der erste Tour-Etappenerfolg in Serre-Chevalier und WM-Silber im Zeitfahren von Bergen, 2018 Gesamtrang vier bei der Tour de France. Entsprechend ist die Konkurrenz gewarnt. «Ich erwarte viel von ihm. Er hat mich bei der Tour gefordert und das war das erste Mal, dass er auf Gesamtwertung gefahren ist», sagt Dumoulin, der Giro-Sieger von 2017. Auch Nibali hat die «starke Saison» des Slowenen registriert. Der Gesamtsieger von 2013 und 2016 sieht bei seinem Rivalen aber Schwächen in der dritten Woche, wenn die schweren Bergetappen anstehen.
Damit er dann aber nicht einbricht, hat Roglic extra noch ein Höhentrainingslager in der Sierra Nevada absolviert. Die mangelnde Erfahrung könnte bei «Primoche», wie er in seiner Heimat gerufen wird, das größte Problem sein. Es ist erst die vierte dreiwöchige Rundfahrt für Roglic, während etwa Nibali seine 21. Grand Tour in Angriff nimmt. Er habe alles im Eilverfahren lernen müssen und sei dabei noch nicht fertig.
Dafür kann er sich auf seine Fans verlassen, denn nicht zuletzt Roglic hat in seiner Heimat einen Radsport-Boom ausgelöst. Der Start in Bologna und das Ziel in Verona sind nicht weit von der Grenze entfernt. Da werden sicher einige Fans zum Giro kommen, so wie Roglic einst selbst.
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(dpa)