Doha – Zur Kategorie der Lautsprecher à la Mario Cipollini oder Mark Cavendish gehört André Greipel nicht. Und so behält der deutsche Kapitän für das WM-Straßenrennen am Sonntag in Doha seine Kritik an der Zusammensetzung der deutschen Rad-Mannschaft auch für sich.
Dass ihm die Rollenverteilung im ohnehin sehr kleinen Sechs-Mann-Team nicht passt, ist aber kein Geheimnis. Marcel Kittel, seit Jahren einer der schärfsten Rivalen Greipels bei den Flachankünften, wurde ihm als Joker zur Seite gestellt. Eine explosive Mischung, zumal in John Degenkolb ein weiterer Mann mit Siegambitionen im deutschen Team steht.
Greipel nimmt die Angelegenheit diplomatisch, mahnt stattdessen zu «professioneller Einstellung und Teamfähigkeit». Er hätte auch auf seine alleinige Chefrolle pochen können, doch das widerstrebt seinem Naturell. Der 34-Jährige ist bodenständig, ehrlich und geradlinig. Keiner der Sorte Ich-AG, keiner für die Show und keiner, der sich verstellt. «Alles für die Mannschaft», heißt sein Motto, damit es für das große Ziel reicht: Den WM-Titel 50 Jahre nach dem Triumph von Rudi Altig zurück nach Deutschland zu holen.
Für Greipel wäre es die Krönung seiner Karriere. Längst gehört er zu den Großen seines Metiers. 136 Profisiege hat er bereits eingefahren, noch viel wichtiger sind ihm aber die 21 Etappenerfolge bei den großen drei Rundfahrten (Tour, Giro und Vuelta). Das hat vor ihm kein anderer deutsche Radprofi geschafft. Allein elfmal siegte er bei der Frankreich-Rundfahrt, dabei gab er mit fast 29 Jahren erst sein Tour-Debüt.
Dass die Karriere des gebürtigen Rostockers einmal eine derartige Entwicklung nehmen würde, hätte vor sechs Jahren kaum einer für möglich gehalten. Damals, im Jahre 2010, hatte er bei HTC-Columbia im Schatten von Mark Cavendish gestanden. Von dem Briten mit dem losen Mundwerk hatte er sich gar anhören müssen, dass er «nur beschissene kleine Rennen» gewinnen könne.
Greipel verließ den Rennstall in Richtung Lotto, was sich im Nachhinein als goldrichtige Entscheidung erwies. Im belgischen Team reifte der zweifache Familienvater zu einem kompletten Sprinter. «André hat sich weiterentwickelt. Er kann heute auch Etappen auf eigene Faust gewinnen, ist nicht mehr auf einen Sprintzug angewiesen», lobte Teamchef Marc Sergeant seinen deutschen Top-Angestellten. Greipel selbst betont: «Ich musste erst lernen, auf dem Rad aggressiver zu sein.»
Sergeant verlängerte mit ihm trotz dessen vorgerückten Alters den Vertrag bis 2018. Denn auf Greipel ist Verlass, in den letzten sechs Jahren hat er stets mindestens eine Etappe bei der Tour gewonnen. Eine derartige Konstanz bringen nur wenige Fahrer mit. Mit der Wertigkeit seiner Siege stieg auch der Respekt bei den Gegnern. Cavendish, der bei seinem WM-Triumph 2011 noch Greipel auf den dritten Platz verwies, spricht längst anerkennende Worte über seinen deutschen Konkurrenten.
Wenn der bullige Sprinter mit dem Spitznamen «Gorilla» mal wieder die Konkurrenz hinter sich lässt, dann ist auch Marcel Sieberg meist nicht weit weg. Der 1,98 Meter große Hüne ist Greipels bester Freund und Bodyguard im Peloton. In Doha muss Greipel auf seinen kongenialen Partner aber verzichten, Sieberg fällt wegen eines fiebrigen Infekts aus. Aber mit Widerstände weiß Greipel umzugehen, notfalls auch ohne Helfer.
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(dpa)