Vittel – Innerhalb von 24 Stunden hat sich Peter Sagan vom gefeierten Tour-Helden zum Buhmann gewandelt. Dem Ellbogencheck gegen Mark Cavendish im Schlussspurt von Vittel folgte die Rote Karte der Renn-Jury, die damit den Slowaken nach der vierten Etappe nach Hause schickte.
Ein großer Tour-Skandal, aber die Wogen werden sich glätten. An der wirtschaftlichen Bedeutung des Doppel-Weltmeisters für sein hauptsächlich von Mittelständlern finanziertes Bora-hansgrohe-Teams ändert der Vorfall wohl nichts.
Es gab Zeiten, da musste Teamchef Ralph Denk Sponsorentermine in miefigen Kleinhotels vor einer kleinen Gruppe Schaulustiger abhalten. Heutzutage reichen beim deutschen Bora-hansgrohe-Rennstall derartige Räumlichkeiten nicht einmal für die Entourage von Superstar Peter Sagan. So war auch am Montagabend der Andrang im Teamhotel Kirchberg in Luxemburg riesengroß, als der erste Tour-de-France-Etappensieg der Teamgeschichte – natürlich dank Sagan – mit einer feuchtfröhlichen Prosecco-Runde gefeiert wurde.
An diesem Abend war noch alles in Ordnung und Denk schwelgte: «Die Verpflichtung von Peter zahlt sich schon die ganze Saison aus. Die Media-Werte sind extrem hoch. Er ist ein spezieller Typ, deshalb bezahlen wir ihm auch relativ viel Geld», sagte der Sportchef und freute sich über das «Return on Investment». Für rund vier Millionen Euro hatte sich Denk die wohl schillerndste Figur im Radsport ins Team geholt – und den garantierten Erfolg obendrein. Sagan hat das im vergangenen Jahr noch zweitklassige Team auf Anhieb in die Phalanx des Teams Sky katapultiert.
Und der britische Erfolgsrennstall ist auch die Richtgröße, an der sich Denk orientiert. «Ich habe schon die Ambition, das beste Team der Welt zu betreuen. Der Tour-Gesamtsieg wäre schon noch mehr für mich. Man soll niemals nie sagen», betonte Denk und fügte hinzu: «Ich würde auch mit Froome zusammenarbeiten.»
Der derzeit beste Rundfahrer im Peloton ist für Denk die nächsten Jahre nicht zu haben, mit Sagan ist dem Manager aus Bad Aibling aber der werbemäßig vielleicht noch größere Coup geglückt. Der Slowake ist eine Marke für sich. Mit seinen langen Haaren kommt er wie ein Rockstar daher. Immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Mal übt er sich als Sänger, oder er läuft wie nach seinem Sieg in Longwy hyperaktiv mit einer übergroßen MotoCross-Brille durch den Zielbereich. Bei der Flandern-Rundfahrt hat er auch schon mal einer Hostesse auf dem Podium in den Po gekniffen, wofür er sich anschließend entschuldigen musste.
Sagan ist für Bora-hansgrohe ein Glücksfall, entsprechend gelten für den extrovertierten Superstar auch Ausnahmen, außerhalb der Rennstrecke. «Wir haben klare Regeln, was Frauenbesuch betrifft, aber seine Frau ist deutlich öfter zu Besuch. Das liegt aber auch daran, dass er so viel mit Sponsorenterminen eingedeckt ist», erklärt Denk, der Sagan nur im Paket mit fünf weiteren Fahrern und umfassender Entourage bekam. Dazu zählt auch dessen Bruder Juraj. Und demnächst erblickt ein weiterer Sagan das Licht der Welt, Peters Frau Katarina ist schwanger.
Denk nimmt den Rummel um Sagan gerne in Kauf. Dass sein Team derart im Rampenlicht steht, hätte er beim Start 2010 nie für möglich gehalten. Als drittklassige Mannschaft unter dem Namen NetApp hatte er damals mit geringen Mitteln begonnen, zwischenzeitlich stand wegen fehlender Sponsoren sogar der Fortbestand in Frage. «Wir sind stetig gewachsen», erklärt Denk, dessen Team wegen seiner frischen Art auch schon als Zweitligist zur Tour eingeladen worden war.
Damals rollte die Mannschaft im Feld eher mit, heute gehört sie zu den Haupt-Attraktionen. Auch im Gesamtklassement gibt es Ambitionen. Der Pole Rafael Majka soll unter die besten Zehn fahren, als Helfer hat der Pole das deutsche Talent Emanuel Buchmann zur Seite.
Vorrangiges Ziel waren aber Etappensiege und das Grüne Trikot für Sagan. Doch mit dem Ellbogencheck des 27-Jährigen kurz vor dem Ziel in Vittel hat sich das Ansinnen in diesem Jahr erst einmal erledigt.
Fotocredits: Peter Dejong
(dpa)