Madrid – Nairo Quintana und Chris Froome fuhren Seiten an Seite Richtung Madrid und genehmigten sich auf der Triumphfahrt zum Abschluss der Vuelta ein Glas Sekt.
Harmonisch ging es zu zwischen den beiden großen Rundfahrern, nachdem sie sich drei Wochen lang einen erbitterten Zweikampf geliefert hatten – mit dem besseren Ende für Quintana. In den spanischen Bergen wurde der bei der Tour de France noch schier übermächtige Sky-Kapitän vom kolumbianischen Kletterer entzaubert. Auf jede Attacke des Briten hatte Quintana auch auf der letzten Bergetappe der Spanien-Rundfahrt eine Antwort. Am Ende des schweren Anstiegs zum Alto de Aitana sprintete der Movistar-Kapitän sogar noch demonstrativ an Froome vorbei und machte seinen ersten Gesamtsieg bei der Vuelta perfekt.
«Froome hat mich mehrfach attackiert, auf den Abfahrten, auf den Anstiegen, selbst im Flachen. Ich wollte einfach Erster sein. Er war auch mein direkter Rivale und der Stärkste meiner Gegner», sagte Quintana. Nötig hätte er die zwei Sekunden, die er auf Froome gewann, nicht mehr. Er lag in der Gesamtwertung bereits 1:21 Minuten vorn. Aber Quintana wollte zeigen, wer der Chef ist. Und das gelang ihm eindrucksvoll. So kam es auf der letzten Etappe, die der Däne Magnus Cort Nielsen gewann, traditionell zum Waffenstillstand der Klassementfahrer.
Das war in den Bergen noch anders. Und da war meist der Kolumbianer vorn. 33 Sekunden nahm er Froome am Alto de la Camperona ab, 25 Sekunden am Lagos de Covadonga, gar 2:37 Minuten in Formigal. Froome konnte in den Bergen nur kümmerliche sechs Sekunden auf der dritten Etappe auf Quintana herausfahren. Auf seinem Hausberg Pena Cabarga – hier ging 2011 sein Stern als Rundfahrer auf – holte er sich zeitgleich mit Quintana den Etappensieg. Ohne den überzeugenden Sieg beim Zeitfahren, als der Brite mehr als zwei Minuten herausfuhr, wäre die Vuelta auch von den Abständen her eine klare Angelegenheit für den Kolumbianer geworden.
Dank Froome wurde sie spannend, kann man am Ende sagen. Dass ein Rennen dank Froome spannend wird, ist fast schon eine Novität. Und sie streicht die Stärke Quintanas heraus. Der Kolumbianer, bereits Sieger des Giro d’Italia 2014, vertraute ganz seinen Qualitäten. Die liegen in den langen und steilen Anstiegen. Spanien bot die Rampen dafür, mit 15, 20, ja 25 und sogar 30 Prozent Steigung.
Es war ein Profil für Kletterer – und Quintana nutzte seine Chance. Der 26-Jährige zeigte sich aber auch nervenstark. Er dirigierte souverän seine Mannschaft. Er verlor nicht einmal beim Zeitfahren die Ruhe, als Froome näher und näher kam. Vor allem aber gewann er das Zutrauen in seine Fähigkeiten zurück. Bei der Tour de France hatte er die klare Überlegenheit Froomes anerkennen müssen, startete nicht eine ernsthafte Attacke. «Ich war durch Allergien geschwächt. Der Körper konnte nicht das Gewohnte leisten. Deshalb habe ich auch die Olympischen Spiele ausgelassen und mich zu Hause vorbereitet», erzählte Quintana.
Rückblickend war das die richtige Entscheidung. Dass die neugewonnene Kraft gegen Froome aber ausreichen würde, zeigte sich erst beim Etappensieg an den Lagos de Covadonga. «Das gab mir großen Auftrieb für die nächsten Tage. Ich wusste einfach, dass ich die besten Beine hatte», erklärte Quintana den entscheidenden psychologischen Moment.
Quintana schwingt sich zum besten Kolumbianer der Radsport-Historie auf. Mit seinem Sieg beim Giro und dem Triumph bei der Vuelta hat er selbst Luis «Lucho» Herrera, den legendären Kletterer der 80er Jahre, in den Schatten gestellt. Was ihm noch fehlt, ist der Sieg bei der Tour de France. Aber er weiß jetzt zumindest, wie er Froome in einer dreiwöchigen Rundfahrt besiegen und wie er dessen starkes Team Sky erschüttern kann.
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(dpa)