Korschenbroich (dpa) – Für die Veranstalter ist er eine Persona non grata, doch die Fans der Tour de France sind Jan Ullrich treu geblieben.
Als der einzige deutsche Tour-Sieger die Bühne in der Kleinstadt Korschenbroich betritt, bricht großer Jubel aus. Die Handys werden gezückt, viele Fans rufen «Ulle, Ulle», negative Zwischentöne gibt es keine.
«Wer Fragen zu Doping hören will, hebe die Hand», sagt die Moderatorin. Kein Finger geht in die Luft. Auch bei der Autogrammstunde fällt kein kritisches Wort. Die Fans reichen dem früheren Rad-Star Kinder für Fotos oder schenken ihm Schokolade, eine ältere Dame fällt ihm spontan in die Arme.
«Es tut gut, so freundlich empfangen zu werden», sagt Ullrich der Deutschen Presse-Agentur und verrät: «Ich habe seit elf Jahren kein Radrennen mehr an der Strecke verfolgt. Radsport ist zwar weiterhin mein Leben. Aber ich brauchte Abstand und Großveranstaltungen sind nicht mehr so mein Ding.» Für den ersten Tour-Start in Deutschland nach 30 Jahren macht er eine Ausnahme, «und es war ein Riesen-Erlebnis für mich. Es war ein großes Volksfest und Werbung für den deutschen Radsport. Ob ich mir auch künftig wieder Radrennen an der Strecke ansehe, weiß ich aber noch nicht.»
Dass Ullrich im Endeffekt überhaupt ein Teil dieser 104. Tour de France war, passt vielen aber nicht. Sein Name stand 20 Jahre nach seinem Triumph nicht auf der VIP-Liste der Ehrengäste für den Auftakt in Düsseldorf. Viele aktuelle Radprofis und sogar sein alter Rivale Lance Armstrong hatten die Ausladung verurteilt und für eine «zweite Chance» plädiert. Und die treuen Ullrich-Jünger sind sogar erbost.
«Dass hier ein Sportler stellvertretend zum Sündenbock gemacht wird, ist unwürdig, heuchlerisch und erbärmlich», sagt Rudolf Diekmann (69), der extra aus Hamburg an den Niederrhein gereist ist: «Verbotene Mittel haben alle genommen. Aber Ulle war der Beste. Hätte niemand gedopt, hätte er mehrmals die Tour gewonnen.» Freilich, das sagt sogar der eingefleischte Fan Diekmann, «hätte er sich ein bisschen deutlicher davon distanzieren können». Ullrich hat immer noch kein umfassendes Doping-Geständnis abgelegt und möchte auch nicht mehr über das Thema reden.
Das kostete ihn wohl die Einladung nach Düsseldorf. Fragen dazu beantwortet der heute 43-Jährige aber ausweichend. «Es war nicht so dramatisch, wie es überall dargestellt wurde», versichert er: «Ich war von der Stadt Düsseldorf eingeladen, aber meine Tochter feierte am Samstag ihren 14. Geburtstag. Und da ich nicht so oft dabei war, hat sie sich gewünscht, dass ich mit ihr feiere. Ob die Tour-Veranstalter mich eingeladen hätten, weiß ich nicht, weil ich so frühzeitig abgesagt habe.»
Doch im Endeffekt ist es nun eine denkbar kleine Bühne, auf der Ullrich den Fans präsentiert wird. In der 33 000-Einwohner-Stadt tritt er zwischen einem Showtanz von Teenagern und jungen Cheerleadern auf, an der Seite von drei stolzen Bürgermeistern aus Korschenbroich und Partnergemeinden. Doch im kleinbürgerlichen Rahmen fühlt sich Ullrich, der das große Rampenlicht nie suchte und sich seit Jahren mit seiner Familie auf Mallorca zurückgezogen hat, sichtlich wohl. Hier will ihm keiner etwas Böses und so erzählt er freimütig Anekdoten.
«Ich bin immer sehr dünn in die Tour gegangen und hatte keinerlei Fettreserven», sagt Ullrich, dem zu aktiven Zeiten stets Gewichtsprobleme nachgesagt wurden. «Damals hatte ich 70 Kilo, heute habe ich 85», sagt er. Dick ist er aber keineswegs. Obwohl er Feinschmecker ist – und diese Vorliebe offenbar auch an seinen jüngsten Sohn (4) vererbt hat: «Er kommt jeden Tag und will Radfahren. Aber nur zur Eisdiele und zurück.»
Fotocredits: Guido Kirchner
(dpa)